Was bedeutet die digitale Transformation für den Handel? Wie lassen sich Erfahrungen aus dem E-Commerce auf das stationäre Geschäft übertragen und im Sinne der Omnichannel-Strategie nutzen? Denn auch in einer digitalen Welt bleibt der Kunde König. Die Personalisierung der Kundenkommunikation am Point of Sale ist folglich neben der Digitalisierung der Filiale ein Ziel. Um es zu erreichen, bedarf es umfassender Kenntnisse über die Kaufgewohnheiten. Die Eurocis, die Leitmesse für Retail Technology, stand im Zeichen von Big Data. Die beherrschenden Themen Künstliche Intelligenz (KI), Robotics und das Internet of Things (IoT) ließen erahnen, wohin die Reise in den nächsten Jahren für Händler und Kunden gehen könnte.
one hat sich auf der Fachmesse für IT und Sicherheit auf die Trendsuche begeben.
Die Firma Scandit (oben) präsentierte eine Augmented Reality-Anwendung, die Online-Umgebung in den stationären Handel bringt, die mit großen E-Commerce-Händlern konkurrieren könnte. Mit seinem Smartphone kann der Kunde einen Artikel oder ein ganzes Warenregal scannen und sich zum Beispiel alle veganen Produkte anzeigen lassen.
In virtuellen Fashion- und Food-Filialen zeigte GK, wie der Konsument mittels VR-Brille durch den Laden gehen, Produktinformationen abrufen, Artikel in den Warenkorb legen, sie auf unterschiedliche Weise bezahlen kann und sich den Einkauf anschließend wahlweise liefern lassen oder abholen kann. Die cloudbasierten Dienste können sowohl im Webstore, in der Filiale als auch auf dem Smartphone genutzt werden.
Eine virtuelle Waschmaschine war der Hingucker auf dem Stand des Göttinger Fullservice-Providers Xplace. Die Bedienung erfolgte via Touch, der Waschvorgang einschließlich Wasserstandsanzeige wirkte dank transparentem Display und LED-Innenbeleuchtung dreidimensional und realitätsnah.
Ein traditionelles Thema auf der Eurocis sind neue Lösungen für die Warensicherung. Das Startup Rapitag präsentierte eine patentierte Diebstahlsicherung, die der Kunde ohne Kassenschalter oder Terminal mit dem Smartphone selbst öffnen kann – vorausgesetzt natürlich, er hat vorher – innerhalb einer App – bezahlt.
Diesen Ansatz verfolgte auch das RFID-Mobile Check Out von Tyco (Foto oben rechts). Dieses Konzept kombiniert das unmittelbare Einkaufserlebnis im Ladengeschäft mit einer bequemen und schnellen Abwicklung: Der Kunde bezahlt im Shop einfach mit seinem Smartphone. Das Produkt wird daraufhin für ihn freigeschaltet. An einer Checkout-Station kann er dann das Sicherungsetikett mit Hilfe von RFID-Technologie selbst entfernen und die Ware mitnehmen. Außerdem stellte Tyco eine neue Generation von Warensicherungsetiketten für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche vor. Sie empfehlen sich vor allem für kleine Artikel, zum Beispiel Kosmetik. Mit der Out-of-the-Box-Lösung sollen nun auch kleine und mittelständische Händler die Vorteile einer RFID-basierten Inventur nutzen können, verspricht Tyco. Das System basiert auf einem mobilen RFID-Reader und -Writer, mit dem Inventuren abgewickelt und neue RFID-Etiketten generiert werden. Sämtliche gesammelten Daten sind auf einem Cloud-Server gespeichert.
Der Leuchtenhersteller Osram verknüpfte die Offline- mit der Online-Welt über Beacons in der Filiale als Basis für standortbezogene Dienste. In Verbindung mit Einzelhandel-Analytics kann der stationäre Handel den Konsumenten in Echtzeit und individuell ansprechen, um ihn etwa auf Rabattaktionen, Bonuspunkte oder Produktinformationen aufmerksam zu machen.
Das Schweizer Unternehmen Xovis setzt auf im Markt montierte 3D-Sensoren, um Kundenströme, -wege und Verweildauer am Regal ermitteln, darstellen und analysieren zu können. Der Anwender kann eine Mindestgröße definieren, so dass zum Beispiel Kinder nicht erfasst werden. Die Personen werden anonym als farbige Punkte dargestellt.
Eine ganz andere Art der Einkaufsberatung hatte das Start-up Fision mit in die Düsseldorfer Messehallen gebracht: Size Advisor, eine Anwendung, die den Körper eines Menschen in wenigen Augenblicken vermisst, um die richtige Konfektionsgröße ermitteln zu können. Darüber hinaus können fotorealistische 3D-Modelle von beliebigen Kleidungsstücken erstellt werden, die wiederum benutzt werden können, um Produkte und deren Eigenschaften interaktiv zu präsentieren.
Star am Messestand von Toshiba war die Assistentin „Olivia“, die nach der Benennung der gewünschten Zutaten für ein Gericht – beispielsweise Lachs und Gemüse – ein Rezept vorschlägt und auf Wunsche die passende Einkaufsliste erstellt. Betritt der Kunde den Supermarkt, kann die Einkaufsliste auf dem Smartphone angezeigt werden. Olivia berücksichtigt Vorlieben und Allergien des Nutzers und lernt permanent dazu.
Panasonic und SES-Imagotag haben eine automatisierte Regal-Monitoring-Lösung entwickelt, die ein digitales Preisschild mit Geolokalisierung und Videoanalyse kombiniert und so den Lagerbestand in Echtzeit ermitteln soll. Das System wird aktuell bei einem Einzelhändler in Paris getestet.
Die künstliche Intelligenz erobert die Kassenzone: NCR stattete seine Self-Checkout-Systeme mit Bilderfassungsscannern aus, welche die Wiegeartikel Obst und Gemüse anhand von Farbe, Form und Größe erkennen und klassifizieren. Das System ist selbstlernend und werde bei der Produkterkennung präziser, je öfter es genutzt wird, verspricht NCR.
Bei Scansation können Kunden ihr eigenes Smartphone zum Self-Checkout verwenden. Scannen und bezahlen mit dem eigenen, vertrauten Mobiltelefon – wie es gehen kann, demonstrierte das junge Start-up-Unternehmen.
Aller schönen neuen digitalen Welt zum Trotz: Für viele Menschen bleibt Bargeld unverzichtbar. Auf der Eurocis zeigte die Firma Glory, dass an einem Cash-Back-Terminal das Abheben von Bargeld auch beim Self-Checkout möglich ist.
Mehr zur Messe, inklusive Interview mit Jens Siebenhaar, CEO REWE Systems, gibt´s hier: EuroCis Live
Die Möglichkeiten des Internet of Things (IoT) und der Künstlichen Intelligenz eröffnen Händlern neue Perspektiven für ihre Digitalisierungsstrategien. Der Weg zum vernetzten Store gestaltet sich dennoch beschwerlich und äußerst komplex. Der Handel befindet sich, was die Umsetzung von Smart Store Konzepten angeht, inmitten einer Konzeptions- und Ausbauphase, so ein Fazit der Analyse, die EHI und Microsoft in dem Whitepaper „Smart Store“ anlässlich der Eurocis vorstellten.
Bestandstransparenz ist eine wichtige Voraussetzung für vernetzte Stores, die ein Großteil der Händler bereits erfüllt. "59 Prozent der Unternehmen nutzen automatisierte Informationen aus dem E-Commerce-Kanal für das Bestandsmanagement ihrer Filialen, weitere 23 Prozent planen dies für die kommenden beiden Jahre", erklärte Ulrich Spaan, Mitglied der EHI-Geschäftsleitung. Von diesen insgesamt 82 Prozent nutzen zwei Drittel die Daten für Click and Collect-Services, die Hälfte für die Online-Vorreservierung von Produkten in den Filialen und 39 Prozent für die Anzeige von Filialbeständen auf Online-Wunschlisten. „Der Handel ist derzeit mit modernen Cloud-Technologien auf dem Weg in die digitale Transformation“, stellte Xenia Giese, Industry Solution Executive Retail & Consumer Goods bei Microsoft Deutschland fest.
Individualisierte Kunden-Kommunikation
Ein weiterer essentieller Bestandteil jeder Smart-Store-Strategie ist die personalisierte und individualisierte Kommunikation mit den Kunden. Dies setzt voraus, dass Kundenprofile aus dem E-Commerce Kanal auch instore verfügbar sind, idealerweise kombiniert mit einer Identifikation einzelner Kunden, wenn diese sich in der Filiale aufhalten. 18 Prozent der Teilnehmer nutzen personalisierte Kundendaten im Store, zum Beispiel an der Kasse, weitere 43 Prozent planen dies in der nahen Zukunft umzusetzen. Damit werden in absehbarer Zeit die meisten Unternehmen zumindest theoretisch in der Lage sein, mit ihren Kunden basierend auf deren kanalübergreifendem Kaufverhalten zu kommunizieren. Allerdings – nur in 5 Prozent der Unternehmen verfügen Mitarbeiter bereits heute auf ihrem Mobile Device über personalisierte Kundendaten.
„Elf Prozent der Unternehmen geben ihren Kunden Zusatzinformationen aufs Smartphone.“Ulrich Spaan, Mitglied der Geschäftsleitung des EHI Retail Institute
Ulrich Spaan, EHI
Besonders im Fokus sind dabei Services wie Instore Navigation oder der Zugriff auf Produktinformationen unter Verwendung von beispielsweise QR-Codes oder Bilderkennung. Bei den Händlern, bei denen eine Interaktion mit dem Smartphone der Kunden möglich ist (27 Handelsunternehmen), geschieht dies bei 26 Prozent über Beacons und bei 52 Prozent über eine Unternehmens-App. Whatsapp (7 Prozent) oder Chatbots (4 Prozent) spielen noch eine untergeordnete Rolle.
Smart Shelves, Roboter und Co.
Vollautomatisierte Store-Konzepte wie AmazonGo werden von den befragten Unternehmen als durchaus ernstzunehmende Ansätze für die Zukunft gesehen. 66 Prozent glauben, dass entsprechende Szenarien kurz- bis mittelfristig realistisch sind. Nur 30 Prozent glauben nicht an eine Etablierung solcher voll automatisierter Lösungen.
Typische IoT Anwendungen wie Smart Shelves sind bisher kaum im Einsatz, das Interesse seitens des Handels ist jedoch groß. Der Einsatz von Robotern auf der Fläche, etwa im Bereich Inventuraufnahme oder Reinigung, wird als hochspannend betrachtet, bisher aber kaum umgesetzt.
Infrastruktur noch lückenhaft
Die unzureichende flächendeckende Abdeckung leistungsfähiger Breitbandnetze bleibt ein Problem. Der Handel feilt weiter am Ausbau freier Kunden-Wifi-Verbindungen. Hier sehen 61 Prozent der Befragten Handlungsbedarf. 57 Prozent möchten die Ausstattung des Filialpersonals mit Mobile Devices optimieren.
Dem Whitepaper liegt eine schriftliche Befragung von 44 IT-Entscheidern der bedeutendsten Filialisten im deutschsprachigen Raum zugrunde.