Robert Kecskes, Global Insights Director der GfK, Livia Kolmitz, Leiterin Unternehmenskommunikation und Public Affairs bei Mondelez International und Kerstin May, Funktionsbereichsleiterin Nachhaltigkeitskommunikation der REWE Group, sprachen im Mai über die Nachhaltigkeit, Herausforderungen in der Kommunikation und die Bedeutung eines langen Atems.
Ob beim Einkauf von Mode, Lebensmitteln oder anderen Produkten – immer mehr Verbraucher:innen möchten wissen, wie und unter welchen Bedingungen Waren hergestellt wurden und wie sich Hersteller und Händler in Fragen der Nachhaltigkeit positionieren. Wie kommt es, dass dieses Thema zunehmend wichtiger wird?
Robert Kecskes: Am Anfang einer solchen Entwicklung stehen häufig Krisen. Sie rütteln vor allem die jüngere Konsumentengeneration auf. Gewohnte Verhaltensmuster werden in Frage gestellt. Das begann 2008 mit der Finanzkrise und setzte sich fort mit der Klimakrise, der Pandemie und nun mit dem Krieg in der Ukraine. In solchen Ausnahmesituationen erhält Nachhaltigkeit häufig eine immense Dynamik. Aktuell ist es so: Die Menschen möchten mit Genuss konsumieren, gleichzeitig spüren sie aber auch eine Verantwortung. Und das nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und nun auch geopolitisch.
Kerstin May: Nachhaltigkeit ist nicht mehr Verzicht, sondern eine weitere Qualitätsdimension. Sie reiht sich wie selbstverständlich ein in den Reigen der Kriterien, die eine Kaufentscheidung beeinflussen. Konsumente:innen wünschen sich ein hochwertiges Produkt, und es soll nachhaltig sein. Die Pandemie hat diesem Bewusstsein aus Händlersicht noch einmal einen enormen Schub beschert. Plötzlich sind Themen wie Regionalität, Saisonalität oder Bio quer durch alle Generationen noch wichtiger geworden.
Livia Kolmitz: Ja, auch wir sehen, dass Nachhaltigkeit deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Gleichwohl hat unsere aktuelle Studie zum Thema Snacks auch gezeigt, dass viele Konsument:innen süße Snacks als wichtigen Teil ihres Lebens betrachten. Sie möchten gerne beides, Nachhaltigkeit und Genuss. Bei der Schokolade ist das Kaufkriterium Nummer eins allerdings weiterhin der Geschmack.
Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema. Welche Aspekte sind Verbraucher:innen vor allem wichtig?
Livia Kolmitz: Tatsächlich ist Nachhaltigkeit in aller Munde, aber viele fragen sich: Was heißt das konkret? Die Konsument:innen haben ein großes Wissensbedürfnis. Sie möchten zum Beispiel wissen, wo die Zutaten herkommen. Oder: Was passiert in der Lieferkette? Da sind wir als Hersteller in der Pflicht, Informationen anzubieten und zu zeigen, was wir tun. Konkret haben wir bei Mondelez vor einigen Jahren das Kakao-Nachhaltigkeitsprogramm Cacoa Live ins Leben gerufen, um Bauern zu unterstützen, ökologisch sinnvoller und gleichzeitig wirtschaftlich effektiver zu arbeiten. Dies Verbraucher:innen zu erklären, ist komplex. Ein Hinweis auf der Produktverpackung kann nur eine Anregung sein, sich zum Beispiel im Internet tiefer mit dem Thema zu beschäftigen.
Kerstin May: Nach unserer Beobachtung sind die großen Nachhaltigkeitsthemen Klima, Tierwohl und Verpackung. Sie zahlen gegenseitig aufeinander ein. Wenn man versuchen würde, diese Zusammenhänge auf einer Verpackung zu vermitteln, würde es kompliziert. Deshalb halte ich Label für wichtig. Wenn man Label gut macht und richtig einsetzt, können sie Kunden sehr viel Orientierung geben. Denn im Markt sind die Kund:innen einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt. Sie sind in Eile, haben möglicherweise Kinder dabei, sind abgelenkt – in solchen Situationen sind sie nicht erreichbar für tiefe Informationen zum Thema Nachhaltigkeit.
Robert Kecskes: Kund:innen wollen der Marke oder dem Markt ihrer Wahl vertrauen. Sie möchten sich nicht bei jedem Einkauf wieder neu informieren, ob Hersteller und Händler sich tatsächlich nachhaltig verhalten. Sie möchten das Gefühl haben: Das ist in Ordnung, was Hersteller und Händler tun. Niemand verlangt ein 100 Prozent nachhaltiges Verhalten, aber viele Verbraucher:innen erwarten eine Entwicklung in Richtung Verantwortlichkeit. Hersteller und Händler müssen den Konsument:innen aufzeigen, welche ökologischen und sozialen Herausforderungen es gibt und diese transparent und glaubhaft angehen.
Kerstin May: Das ist sehr entscheidend: Nachhaltigkeitskommunikation lebt von der Ehrlichkeit….
……und benötigt einen langen Atem.
Kerstin May: Auf jeden Fall. Bei der REWE Group ist Nachhaltigkeit seit 2008 Teil der Unternehmensstrategie. Damals war unser Ziel, Nachhaltigkeit aus der Nische zu holen. Das ist uns, gemeinsam mit Herstellern und Lieferanten sowie anderen Akteuren gelungen. Nachhaltigkeit ist heute alles andere als ein Nischenthema. Aber wir sind noch lange nicht am Ende der Reise. Je mehr wir machen, umso mehr verstehen wir, wie weit der Weg noch ist. Und wir können nicht länger abwarten. Wir müssen jetzt handeln.
Livia Kolmitz: Und zwar wir alle! Die Idee, Hersteller und Handel sollen mal machen, ist zu kurz gegriffen. Mehr Nachhaltigkeit ist nur möglich, wenn viele Akteure mitmachen. Dazu gehören die Konsument:innen und dazu gehört auch die Politik. Denn Unternehmen benötigen Sicherheit, in welchem Rahmen sie sich bewegen, wohin die Reise geht und wie man das Ziel erreichen will.
Inwieweit hat die Pandemie die Sensibilität der Konsument:innen für Nachhaltigkeit beeinflusst?
Robert Kecskes: Corona hat die Menschen veranlasst, mehr Fragen auch zum Thema Nachhaltigkeit zu stellen. Viele haben sich klargemacht, dass da ein Zusammenhang bestehen könnte: Wenn wir es zulassen, dass der Regenwald weiter abgeholzt wird, kommt der Mensch den Wildtieren näher. Das wiederum erhöht die Gefahr für Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Zudem haben die Verbraucher:innen sich in der Pandemie, in der Restaurants geschlossen waren und Treffen nur eingeschränkt möglich waren, sehr intensiv selbst verpflegt. Und das häufig qualitativ hochwertig und auch nachhaltig. Die finanziellen Mittel waren vorhanden, denn die Möglichkeiten, Geld auszugeben, waren im Lockdown stark eingeschränkt. Deshalb haben Supermärkte in dieser Zeit Marktanteile gewonnen. Sie haben es verstanden, sich als Orte der Sicherheit, Verantwortung und des sozialen Austauschs zu inszenieren.
Aktuell veranlassen die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten viele Konsument:innen zu einer Neuverteilung ihrer Budgets. Weichen damit auch ihre Nachhaltigkeitsstandards auf?
Robert Kecskes: Viele Verbraucher müssen sich einschränken, aber sie möchten ihre Ansprüche an Nachhaltigkeit nicht aufgeben. Also suchen sie nach kreativen Ausweichstrategien. Dabei spielen Handelsmarken eine große Rolle. Sie befriedigen die Standards, sind aber günstiger. Vor allem im Premium- sowie im Preiseinstiegsbereich gewinnen Handelsmarken aktuell Marktanteile. Es ist denkbar, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Kerstin May: Ich gehe davon aus, dass uns das Thema Preiswahrnehmung in nächster Zeit sehr viel stärker begleiten wird als in den vergangenen Jahren. Aber deshalb wird das Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels oder für die Bedeutung von mehr Tierwohl nicht verschwinden. Bei REWE und PENNY setzen wir in unserer Nachhaltigkeitsstrategie schon immer sehr stark auf Eigenmarken. Denn dort haben wir die Möglichkeit, auf Hersteller und Lieferanten einzuwirken und Nachhaltigkeitsstandards umzusetzen.
Livia Kolmitz: Ja, es ist tatsächlich möglich, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit kurzfristig überlagert wird von anderen Themen, wie aktuell der Inflation. Aber es wird nicht mehr verschwinden. Für uns bei Mondelez bleibt der Stellenwert von Nachhaltigkeit unverändert hoch und wir arbeiten kontinuierlich für die gesetzten Nachhaltigkeitsziele.
Müssen Hersteller und Handel ihre Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit in der aktuellen Situation möglicherweise sogar noch verstärken, damit die Aufmerksamkeit für das Thema hoch bleibt?
Kerstin May: Wir werden definitiv mit großem Elan weitermachen. Herausfordernde Zeiten halten uns nicht davon ab, Dinge zu tun, die wir für wichtig halten. Denn wenn es um mehr Nachhaltigkeit geht, haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir haben gerade erst bekanntgegeben, den Klimafonds, den wir mit dem NABU gegründet haben, in den nächsten fünf Jahren mit 25 Millionen Euro für Renaturierung von Mooren und Nasswiesen zu unterstützen. Auch das ist ein Beispiel, dass Projekte zum Schutz des Klimas immer langfristig und möglichst unabhängig vom aktuellen wirtschaftlichen Umfeld angelegt sein sollten.
Robert Kecskes: Wer seine Anstrengungen im Bereich Nachhaltigkeit zurückfährt, gefährdet seinen wirtschaftlichen Erfolg. Denn Nachhaltigkeit ist ein Thema, das nicht mehr verschwindet. Es wird in allen Lebensbereichen an Bedeutung gewinnen.
Livia Kolmitz: Das sehe ich auch so. Trotzdem werden sich Erfolge nur dann einstellen, wenn alle Akteure mitmachen. Einer allein wird das nicht schaffen. Jeder Beteiligte sollte sich da engagieren, wo er den größten Unterschied machen kann. Bei Mondelez ist das vor allem bei den für uns wesentlichen Zutaten für unsere Schokoladen- und Keksprodukte, Kakao und Weizen der Fall. Deshalb konzentrieren sich unsere Anstrengungen sehr stark darauf, dort Verbesserungen in den Lieferketten zu erreichen.
Kerstin May: Wir alle werden uns daran gewöhnen müssen, in einer Multi-Krisenwelt zu leben. Krisen treten nicht nacheinander, sondern zeitgleich auf. In diesem Umfeld Kund:innen Sicherheit und Orientierung zu bieten, ist eine große Herausforderung und wichtige Rolle. Dabei dürfen wir alle, ob Hersteller und Handel oder andere Akteure, nicht nachlassen.