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ArticleId: 3198magazineCorona hat gezeigt, dass ein anderes Leben möglich ist. Das sagt Philosoph Richard David Precht, der beim Dialogforum der REWE Group mitdiskutierte. one hat mit ihm über die Chancen und Herausforderungen der Pandemie gesprochen. Was er von Unternehmen erwartet – und warum man gerade jetzt Optimist sein sollte.https://one.rewe-group.com/fileadmin/_processed_/2/e/csm_nh-dialogforum-precht_standard_teaser_5fb44b1197.jpg„Unternehmen können der Politik zeigen, was möglich ist“Richard David Precht
Podiumsdiskussion beim Dialogforum: Martin Brüning, Daniela Büchel, Richard David Precht (v.l.)
Richard David Precht im Interview
„Unternehmen können der Politik zeigen, was möglich ist“
von Julia Klotz und Sebastian Amaral Anders

Corona hat gezeigt, dass ein anderes Leben möglich ist. Das sagt Philosoph Richard David Precht, der beim Dialogforum der REWE Group mitdiskutierte. one hat mit ihm über die Chancen und Herausforderungen der Pandemie gesprochen. Was er von Unternehmen erwartet – und warum man gerade jetzt Optimist sein sollte.

one: Sie haben zu Anfang der Corona-Krise gesagt, dass das Fenster, in Alternativen zu denken, plötzlich sperrangelweit offensteht. Was genau meinen Sie damit?

Richard David Precht Richard David Precht: Wir wussten ja schon vor Corona, dass wir so nicht weiterleben können, wenn wir nicht die Zukunft unserer Kinder verfrühstücken wollen. Aber deshalb von heute auf morgen das eigene Leben verändern? Das konnte sich kaum einer vorstellen. Dann kam die Pandemie – und stellte unseren gewohnten Alltag auf den Kopf. Das hat zu einer Atem- und Denkpause geführt, denn wir alle spüren und erleben dieses alternative Leben plötzlich. Viele Veränderungen waren natürlich negativ, aber es gab auch positive Nebeneffekte. Denken Sie nur an den weitgehend flugzeuglosen Himmel oder weniger Autos auf der Straße. Plötzlich hatten viele das Gefühl, dass man zumindest ein bisschen davon auch für die Zukunft gewinnen kann.

Zum anderen hat uns die Pandemie unsere biologische Verletzlichkeit vor Augen geführt. Wir leben in immer technotopischeren Welten und glauben, wir könnten alle unsere Probleme mit Technik lösen. Und dann kommt so ein primitives Virus und zwingt uns, unser Leben auf den Kopf zu stellen. Ich denke, dass dieses Spüren eines biologisch-ökologischen Schicksalszusammenhangs in vielen Menschen etwas auslöst. Etwa die Erkenntnis, dass wir den Klimawandel, der ein noch viel größeres Problem ist, anpacken müssen, um uns als biologische Lebewesen zu schützen – vor uns selbst.

one: Das alles jetzt im Moment zu spüren ist das eine. Aber der Mensch kehrt meist schnell zu alten Gewohnheiten zurück. Wie können wir das Gefühl, dass sich etwas ändern muss, nachhaltig in eine Zeit nach Corona überführen?

Richard David Precht: Richtig, man kann sich nicht darauf verlassen, dass diese Krise ewig nachwirkt. Das ist jetzt eine Gestaltungsaufgabe für die Politik. Sie muss die aktuelle Bereitschaft der Menschen nutzen, sich mit Blick auf den Klimawandel auf echte Verhaltensänderungen einzulassen. Eine mögliche schwarz-grüne Koalition hätte nach der Bundestagswahl alle Möglichkeiten. Daran werden sich vor allem die Grünen messen lassen müssen.

„Wenn wir ganz ehrlich sind: Wir müssten nur auf lauter unnötiges Zeug verzichten.“
Richard David Precht

one: Aktuell stellen sich auch einige Menschen gegen die Einschränkungen und die Regulierung seitens der Politik. Wie kann es gelingen, auf diesem Weg dennoch möglichst viele mitzunehmen?

Richard David Precht: Die gute Nachricht ist: Die Mehrheit der Menschen hält die Corona-Maßnahmen grundsätzlich für richtig, sogar die Grundrechtseinschränkungen. Und ich wüsste nicht, welches Grundrecht man zur Bekämpfung des Klimawandels einschränken müsste. Es gibt ja kein Grundrecht auf billiges Fliegen oder ein großes Auto. Wenn wir ganz ehrlich sind: Wir müssten nur auf lauter unnötiges Zeug verzichten. Und dafür kann der Staat Anreize setzen – nicht nur durch direkte, sondern auch durch indirekte Verbote.

one: Können Sie ein Beispiel nennen?

Richard David Precht: Es wird nicht darüber passieren, dass wir der Automobilindustrie in Deutschland sagen: Ihr dürft keine SUVs mehr produzieren. Aber wir könnten private Autos, die einen großen CO2-Ausstoß haben, aus den Innenstädten verbannen. Ökologisch wünschenswerten Verkehr zu ermöglichen klappt mit den Abgasplaketten ja auch. Dadurch sinkt natürlich der Anreiz, sich überhaupt ein solches Auto zu kaufen. Wir könnten auch die Steuererleichterung auf Flugbenzin aufheben und mit dem Geld nachhaltigere Geschäftsmodelle stärker fördern. Oder, um im Lebensmittelbereich zu bleiben: Der Staat könnte Produkte, die unter ausbeuterischen oder umweltschädlichen Bedingungen produziert werden, mit einem „Bad Trade Label“ kennzeichnen. Was meinen Sie, wie schnell Hersteller sich bewegen würden, wenn auf einer Schokolade stünde „wird mit Kinderarbeit hergestellt“!

„Die Aufgabe der Unternehmen besteht darin zu beweisen, dass der Wandel möglich ist.“
Richard David Precht

one: Lässt sich ein nachhaltigeres Leben überhaupt vereinbaren mit dem „höher, schneller, weiter“ unserer Zeit und dem Wachstumsgebot in der Wirtschaft?

Richard David Precht: Wer will denn wirklich höher, schneller, weiter? Ich glaube, dass die meisten Menschen gar nicht das Gefühl haben, das zu brauchen, um noch besser zu leben. Wir sind eher an dem Punkt zu hoffen, dass wir auch in Zukunft zumindest noch so gut leben können wie heute. Etwas anders sieht es mit dem in der Wirtschaft generierten Systemzwang zu wachsen aus. Die Frage, ob Kapitalismus wachsen muss oder nicht, ist hochspannend, doch bislang gibt es zum Thema Wirtschaftswachstum noch keine breite Debatte – geschweige denn eindeutige Antworten.

one: Um die angesprochenen Veränderungen in die Post-Corona-Zeit mitzunehmen: Welche Rolle spielen dabei Staat und Unternehmen?

Richard David Precht: Die Aufgabe der Unternehmen besteht darin zu beweisen, dass der Wandel möglich ist. Und das ist nicht wenig. Wenn ein Unternehmen gezeigt hat, was in der Praxis geht, kann dieses Vorbild der Maßstab für Gesetze sein, die etwa Mindeststandards definieren. Da ist für viele Unternehmen sicher noch Luft nach oben. Der Staat hat eine biopolitische Schutzpflicht. Nicht für jeden einzelnen – es geht den Staat nichts an, wenn ich zu viel Alkohol trinke oder zu viel Zucker esse. Es geht den Staat aber etwas an, wenn sich die Bevölkerung wechselseitig durch ihre Lebensweise die Überlebenschance nimmt. In dieser Hinsicht haben die Pandemie und der Klimawandel etwas gemeinsam – mit dem Unterschied, dass der Staat bei letzterem seiner Verpflichtung noch kaum nachkommt.

one: Oft heißt es: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Die Menschen müssten einfach ihr Verhalten ändern, zum Beispiel nachhaltigere Produkte kaufen – dann würden diese auch vermehrt angeboten. Sehen Sie das auch so?

Richard David Precht: Die Verantwortung darf nicht allein dem Verbraucher zugeschoben werde, das ist eine faule Ausrede. Es waren nicht die Konsumenten, die die Sklaverei abgeschafft haben oder für die Gleichberechtigung von Frauen gesorgt haben. Aber auch die Unternehmen allein können das System nicht heilen, schon gar nicht im europäischen Freihandel. Nehmen wir das Beispiel Fleischkonsum. Es würde nicht helfen, auf nationaler Ebene Tierschutzgesetze zu verschärfen. Deutschland müsste darauf drängen, dass bei moralisch relevanten Themen der europäische Freihandel eingeschränkt wird: Wer bestimmte ethische Standards unterbietet, darf seine Produkte nicht mehr in anderen europäischen Ländern verkaufen. Das wäre der nächste Entwicklungsschritt in der Europäischen Union. Das ist ein großer Schritt, aber die Karten stehen dafür heute besser als vor der Pandemie.

„Pessimismus ist keine Lösung.“
Richard David Precht

one: Sie sehen großes Potenzial für In-vitro-Fleisch, also Fleisch, das im Labor synthetisch aus Zellkulturen hergestellt wird. Besteht nicht die Gefahr, dass die Menschen bei diesem und vielen anderen Problemen einfach darauf vertrauen, dass es schon eine technologische Lösung geben wird – und keine Notwendigkeit sehen, selbst aktiv im Sinne des Klimaschutzes zu handeln?

Richard David Precht: Das sehe ich nicht so. Wenn es für Probleme eine technische Lösung gibt, ist das doch super. Das macht mich doch nicht auf einmal zu einem unkritischen Menschen und ist auch keine Frage von entweder – oder, Verzicht oder Technik. Jeder muss schauen, worauf er für den Klimaschutz verzichten kann. Gleichzeitig schauen wir, was die Technik besser machen kann. Die Zukunft beim Thema ‚Fleischkonsum‘ sehe ich in einer Kombination von hochwertigen, ökologischen und regionalen Fleischprodukten einerseits und Kulturfleisch andererseits. Außerdem entscheidet sich diese Frage ohnehin nicht nur in Deutschland, sondern vielmehr in Indien und China. In diesen Ländern geht der Fleischkonsum durch die Decke, ganz einfach, weil sich dort erst jetzt viele Menschen überhaupt Fleisch leisten können. Schon aus diesem Grund brauchen wir das In-vitro-Fleisch dringend.

one: Sind Sie angesichts all dieser Herausforderungen trotzdem noch Optimist?

Richard David Precht: Historisch gesehen kann man doch nur Optimist sein: Die Menschheit hat in ihrer Geschichte immer wieder Probleme gemeistert, auch einige selbst verursachte. Und wenn man sich anschaut, wie es den Menschen früher ging, mit Kriegen, Seuchen oder Hunger, kann man nur zu dem Schluss kommen: Es ging uns nie besser als heute. Außerdem: Pessimismus ist keine Lösung. Ein Optimist, der sich in seinen Idealen getäuscht sieht, führt immer noch ein besseres Leben als ein Pessimist, der sich jeden Tag bestätigt sieht.

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Kommentare
Rainer Langen
vor 2 Jahren und 11 Monaten

Das erste Interview von Richard David Precht, in den er nicht gegen die Kreuzfahrtindustrie wettert...schmunzel

In übrigen glaube ich das wir in gar nicht ferner Zukunft knallhart auf Öko umsteigen müssen, also z.B. die PET Flaschen (ich zitiere RDP "Lauter unnötiges Zeug") komplett in Mehrwegflaschen aus Plastik tauschen werden, könnte man heute schon machen, aber wer will das wohl nicht....

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Angelika Maraton
vor 2 Jahren und 11 Monaten

Ein sehr gutes,unaufgeregtes Interview ohne missionarische Tendez.

 

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